Marion von Osten1963 – 2020

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Mit tiefster Trauer gedenken wir Marion von Osten, die am 14. November 2020 in Dahmsdorf (Müncheberg) verstorben ist.

Mit ihren zahlreichen Projekten wie in persönlichen Gesprächen verfügte Marion von Osten über die großartige Gabe, noch in jedem Zustand der Welt die Öffnungen, die Möglichkeiten, den Widerstand und die Handlungsformen zu sehen: die Grenze als Aushandlungsraum, die Migration als Projekt, die koloniale Planung als Enteignung und Umwidmung, Erziehung als Kommunikation und Emanzipation. Ihr Lebensprojekt war eine umfassende Kritik der Subjektivität im neoliberalen Kapitalismus sowie der kolonialen Moderne und ihrer Folgen. Es manifestiert sich in unzähligen Praktiken – in der Lehre, in Diskussionen, Essays, Büchern, Tagungen, Zeitschriften, Videos, Installationen und allen voran in Ausstellungsprojekten, die immer als kollaborative Projekte angelegt waren. Marion formulierte ihre Kritik als Geschichten der Verflechtung qua widerständiger politischer Praktiken und künstlerischer Erfindungen – gegen den Kanon gerichtet, an dessen Rändern oder rausgefallen, transnational und transversal.

Viele der Ausstellungen, an denen Marion federführend beteiligt war, sind inzwischen legendär: „Sex & Space: Space, Gender and Economy“ (1996-97) stellte die Frage nach der Rolle von Geschlecht in neoliberalen Arbeitsbedingungen; „MoneyNations“ (1997-2001) untersuchte in einem transnationalen Zusammenhang die Bedingungen von Arbeit und Kulturproduktion im Transformationsprozess, der 1989 einsetzte und vor allem postkommunistischen Gesellschaften betraf; „Be Creative! The Creative Imperative“ (2002-2003) blickte auf die zunehmende Verschränkung künstlerischer und kapitalistischer Ideologien von Kultur und Kreativität; „Projekt Migration“ (2002-2006), die allererste Großausstellung zu Migration nach Deutschland, propagierte den regierungspolitisch so missliebigen Begriff der Einwanderungsgesellschaft. „In the Desert of Modernity: Colonial Planning and After“ (2008) mitsamt der Publikation „Colonial Modern: Aesthetics of the Past, Rebellions of the Future“ (2010) konnte nicht nur den kolonial-planerischen Ursprung französischer Satellitenstädte freilegen, sondern bleibt, wie die anderen Rechercheausstellungen auch, eine unschätzbare Referenz für Künstler*innen, Kurator*innen und Forscher*innen, die an der Schnittstelle von Raumpolitiken, Praktiken der Dekolonisierung und Ausstellungsproduktion arbeiten. Gleiches gilt für das großangelegte Projekt „bauhaus imaginista“ (2017-2019), das die Exportmarke Bauhaus entnationalisierte und dazu forschte, wie diese Schule und der sie umgebende Mythos in globaler Diversität angeeignet wurde.

Neben den von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommenen größeren Ausstellungsprojekten entstanden im Laufe der Jahre vornehmlich in kollektiver und kollaborativer Praxis und in unterschiedlichen Zusammenhängen und Konstellationen wie Labor k3000, kleines postfordistisches Drama (kpD) und CPKC Center for Postcolonial Knowledge and Culture ebenso wie aus der Zusammenarbeit mit Studierenden u.a. in Zürich, Wien, Genf oder Lüneburg mikropolitische Interventionen, künstlerische Arbeiten, kleinere Produktionen und Ausstellungen. Videoinstallationen wie „Schöneggstrasse“ (2002) und Fashion is Work (1999) setzten die prekären Arbeitsbedingungen in den Sweatshops mit denen der jungen Kreativszene der End-1990er in Beziehung; Oblomov’s Corner (2000), eine Vortragsperformance mit Mixed-Media Installation, thematisierte die Geschichte der Arbeiterkämpfe in der USA aus der Perspektive des apathisch maladen und bettlägerigen Ilja Iljitsch Oblomow; das Mehrphasenprojekt „Atelier Europa“ (2003/2004) initiierte probeweise ein transnationales Netzwerk von Künstler*innen, Aktivist*innen und Forscher*innen, die sich kritisch mit den Anrufungen der Kreativindustrie auseinandersetzten; in Kamera läuft! (2004) wurden nach dem Vorbild militanter Arbeiterbefragungen im Italien der 1970er Jahre Interviews mit Kulturschaffenden aus Berlin zu ihren Perspektiven auf ein besseres Leben inszeniert; Der Park (2007) porträtierte ironisch-entlarvend die Akteure eines Wissenschaftsparks; reformpause (2006) parodierte das nie endende Reformparadigma im Bildungswesen; This Was Tomorrow (2008) kartografierte online widerständige Praktiken von Bewohner*innen von Großsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre überall an den Rändern europäischer Städte; The Glory of The Garden (2009) warf einen kritischen Blick auf die Strukturen einer alternativen Kunstinstitution. Und auch in den aktuellsten Projekten vertrat Marion eine Perspektive der radikalen Inklusion, in diesem Fall des Zusammenlebens von menschlichen und nichtmenschlichen Tieren. „fallingwild“ (2019), erarbeitet von Labor k3000, schlug die Transformation von DDR-Plattenbau-Fassadenelementen in Multispezies-Habitate vor. Offen bleiben nun, wie tausende frei fliegende Gedanken und Ideen, die gemeinsam mit arch+ laufenden Recherchen für eine Ausstellung im Juni 2021 zum Thema „Cohabitation“.

All diese Unterfangen verbindet, dass Marion als Analytikerin, Diagnostikerin, Künstlerin und Forscherin stets neues Wissen generiert hat, indem sie den Stimmen an den Rändern der Geschichte und Gegenwart zugehört hat. Fast all ihre Projekte sind in von ihr gestifteten Arbeitszusammenhängen und Netzwerken entstanden. Begriffe wie Forscher*in, Expert*in, Kulturpoduzent*in, Ausstellungsmacher*in oder Künstler*in hat sie auf eine ganz eigene Weise geprägt und verkörpert, die quer zu institutionalisierten Formen des Handelns, Wissens, Denkens und Fühlens läuft. Über räumliche, zeitliche und Klassen-Grenzen hat sie sich hinweggesetzt und sich mit jenen solidarisiert, die ihren Weg durch die Wüste der Moderne suchten, finden wollten oder gefunden haben. Alltagshandlungen waren ihr ebenso der Rede wert wie revolutionäre Praktiken, und zwar für alle Arten von handelnden Wesen. Weibliche, migrantische und diasporische Agency hat sie ebenso gefeiert wie die Widerständigkeit von Tieren und Pflanzen; alle, die sich nicht kleinkriegen lassen wollen. Pflanzen hat sie im Garten dort wachsen lassen, wo es ihnen augenscheinlich am prächtigsten ging. Und ganz besonders gefreut hat es Marion, als sich Lola, ihr eigensinniges Pferd, nach einigen Jahren des geduldigen Zugehens auf vertrauensvolle Kooperation einließ.

Die Methode, für die sie steht, wird noch einen Namen brauchen.

Wir werden Dich sehr vermissen. Deine Ruhrpott-geerdeten Witze. Deine Fähigkeit aus jeder noch so nebensächlichen Sache aus dem Stand eine Kulturtheorie zu entwickeln. Deine Großzügigkeit im Teilen von allem. Deinen unkorrumpierbaren, mitfühlenden, aber auch wütenden Blick auf die Welt. Wir sind alle unendlich dankbar dafür, dass wir uns zu Deinen Freund*innen, Gefährt*innen, Genoss*innen und Mitarbeiter*innen zählen durften.

Liebste M a r i o n, Mary, Schmidtchen, Deine Weggefährt*innen – und wir sind viele und divers und multi-species – trauern um Dich.

It is with the deepest of sadness that we mourn the loss of Marion von Osten, who passed away on 14 November 2020 in Dahmsdorf, Müncheberg.

With her innumerable projects and in her interpersonal interactions, Marion von Osten possessed an inimitable gift for envisioning the possibilities for worldmaking: approaching borders as spaces for negotiation, migration as renewal, colonial planning as expropriation and education, above all, as conversation, emancipation, hegemony and resistance. She dedicated her life to a profound critique of subjectivity under neoliberal capitalism shaped by the afterlives of colonial modernity. An approach manifesting in a wide range of forms – in teaching, discussions, essays, books, conferences, journals, videos, installations and, most vitally, in the collaborative form of the research-based “project exhibition” that she pioneered. Marion formulated her critiques as micro-histories that wove political resistance into the fabric of artistic invention; situating her projects within and against art historical canons, tapping into the strength of worlds whose marginalization testifies to their power expended against from it, transnationally and transversally.

Many of Marion’s exhibitions have since become legendary. “Sex & Space: Space, Gender and Economy” (1996–97) explored the role of gender in neoliberal conditions; “MoneyNations” (1997–2001) researched the international interrelations of labour conditions and cultural production instituted in 1989 which primarily impacted post-communist societies; “Be Creative! The Creative Imperative” (2002–03) investigated the growing entanglement of artistic ideologies of creativity under capitalism, “Project Migration” (2002–2006), the first major exhibition on the geopolitics of mobility in Germany that advanced the contested concept of migration society or Einwanderungsgesellschaft. “In the Desert of Modernity: Colonial Planning and After” (2008) together with the publication Colonial Modern: Aesthetics of the Past, Rebellions of the Future (2010) pioneered the nexus of the politics of urban space and decolonial praxis in the German speaking world. Her final large-scale research collaboration “bauhaus imaginista” (2017–19) decentred the mythology of the Bauhaus by situating it within pedagogic networks of diasporic internationalism.

Alongside these international exhibition projects, Marion always developed micropolitical interventions, artistic works, local productions and public displays. As collective infrastructures, these collaborations included Labor k3000, kleines postfordistisches Drama (Minor Postfordist Drama, kpD) and the CPKC Center for Postcolonial Knowledge and Culture that also involved working with students in Zurich, Vienna, Geneva, Lüneberg and other cities. Video installations like Schöneggstrasse (2002) and Fashion Is Work (1999) juxtaposed sweatshops with the youth creative scene of the late 1990s; Oblomov’s Corner (2000), a lecture performance and mixed-media installation addressing the history of worker struggles in the US from the perspective of the bedridden Ilja Iljitsch Oblomov; the multi-stage “Atelier Europa” project (2003–04) that brought together a transnational network of artists, activists and researchers to examine the promises and pressures made by the creative industry; for Kamera läuft! (The Camera’s Running, 2004), inspired by leftists survey of militant workers in 1970s Italy, interviews were realized with creative workers in Berlin; Der Park (The Park, 2007) portrayed the participants at a research park; reformpause (2006) parodied the never-ending will to reform in education; This Was Tomorrow (2008) created an online atlas of resistant practices amongst people residing in housing estates in post 1960s Europe; The Glory of the Garden (2009) examined the structures of alternative art institutions. With her most recent projects, Marion advocated a position of radical inclusion considering the cohabitation of humans and non-humans. fallingwild (2019), developed within Labor k3000, proposed transforming the prefab concrete panels of East German socialist-era architecture into multi-species habitats. As with so many of her ideas, it remains to be seen what will become of the research she conducted alongside arch+ for an exhibition in June 2021.

Common to all these endeavours was the way in which Marion constantly generated new knowledge – as an analyst, diagnostician, artist and researcher – by listening to underrepresented voices of history and the present day. Almost all of her projects were developed in work groups and networks she herself brought into life. She embodied the roles of researcher, expert, cultural producer, exhibition-maker and artist in ways contrary to institutionalised forms of acting and knowing. Marion stood in solidarity with those who sought, desired or had found a way out of the desert of modernity. Everyday actions were as valuable to her as revolutionary practices. She celebrated anyone and anything that refused to let itself be intimidated. In gardens, she allowed plants to grow where they would reach their radiant splendour. Marion was never more delighted than when Lola, her horse, her kindred spirit, finally settled with her into a bond of trust and cooperation.

The methodology she advocated remains yet to be named.

We will miss you. We will miss your down-to-earth Ruhr Valley humour. We will miss your ability to spontaneously weave a cultural theory from the most trivial of things. We will miss your generosity, your desire to collectivise. We will miss your way of looking at the world – incorruptible, compassionate, and at times impatient, too. We are grateful that we were able to count ourselves amongst your friends, companions, comrades and colleagues.

Our dearest Marion, Mary, Schmidtchen – your companions, multiple, diverse and multi-species as we are, mourn your loss.

Kader Attia, Fahim Amir, Julieta Aranda, Tom Avermaete, Olubola Babalola, Rosa Barba, Amole Bayo, Rosemarie und Carmen Becker, Rainer Bellenbaum, Madeleine Bernstorff, Annette Bhagwati, Ursula Biemann, Beatrice von Bismarck, Regina Bittner, Monica Bonvicini, Pauline Boudry, Franziska Brons, Sabeth Buchmann, Helena Čapková, Binna Choi, Alice Creischer, Christian Deutschmann, Diedrich Diederichsen, Katja Diefenbach, Bettina Distelmeyer, Jan Distelmeyer, Michael Dreyer, Jan Dunzenhofer, Martin Ebner, Zvi Efrat, Fabienne Eggelhöfer, Kodwo Eshun, Jesko Fezer, Sabine Gebhardt Fink, Ulrike Fischer, Thomas Flierl, Rike Frank, Luca Frei, Stephan Geene, Julian Goethe, Beate Gütschow, Christoph Gurk, Anja Guttenberger, Rainer Hauswirth, Fynn-Morten Heyer, Moira Hille, Christian Hiller, Maria Hlavajova, Tom Holert, Claudia Honecker, Judith Hopf, Maud Houssais, Christian Huebler, Yuko Ikeda, Çiğdem Inan, Babatunde Jaiyeoba, Julia Jung, Sylvia Kafehsy, Serhat Karakayali, Anita Kaspar, Jens Kastner, Clemens Krümmel, Friedrich Künzle, Mona Kuschel, Brigitta Kuster, Ilse Lafer, Elisabeth Lebovici, Susanne Leeb, Maria Lind, Thomas Locher, Lola, Isabell Lorey, Rachel Mader, Marcus Maeder, Susanne Marian, Angela McRobbie, Doreen Mende, Sandro Mezzadra, Partha Mitter, Anastasia Mityushina, Elke aus dem Moore, Andreas Müller, Ariane Müller, Christian Philipp Müller, Pablo Müller, Wendelien van Oldenborgh, Henrik Oleson, Michaela Ott, Katrin Pesch, Kathrin Peters, Luiza Proença, Regina Römhild, Irit Rogoff, Lisa Rosendahl, André Rottmann, Sandra Schäfer, Michael und Barbara Schmidt mit Anne, Leonie und Tim, Katharina Schramm, Stefanie Schulte Strathaus, Natalie Seitz, Elsa de Seynes, Michael Sideris, Andreas Siekmann, Maja Spillmann, Peter Spillmann, Iris Ströbel, Mischa Suter, Paulo Tavares, Vassilis Tsianos, Karin Rebbert, Katja Reichard, Kathrin Rhomberg, Katja Uckert, Anton Vidokle, Michael Vögeli, Hortensia Völkers auch im Namen der Kulturstiftung des Bundes, Anna Voswinckel, Annette Weisser, Axel Wieder, Cecilia Widenheim, Yvonne Wilhelm, Brian Kuan Wood, Gao Yuan, Franziska Zahl, Zoe Zhang, Florian Zeyfang, Tirdad Zolghadr

Marion hat sich Spenden an das Watch the Med Alarm Phone gewünscht
https://alarmphone.org/de/spenden/
Betreff: „Marion von Osten AP-Donation“.

Kondolenzpost bitte an imgedenken@labor-k3000.org

Marion wished donations in her memory to the Watch the Med Alarm Phone
https://alarmphone.org/de/spenden/
Reference: „Marion von Osten AP-Donation“.

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